Was wir derzeit in der Flüchtlingsproblematik erleben, ist nach Ansicht des Sozialpsychologen Harald Welzer dauerhaft. Es handelt sich um einen Gestaltwandel politischer Figuration, d.h. die Flüchtlingszahlen werden auch zukünftig weiter steigen. Die Gründe dafür liegen an den Kriegen, in den Landnahmen, am Landraub und am Klimawandel. Wir müssen deshalb unsere Haltung zu dieser Problematik ändern, weil diese globalen Zustände auf Dauer auch unsere Gesellschaft verändern wird. Was die Verteilung der Flüchtlinge weltweit anbelangt, werden derzeit 86% der Flüchtlinge in armen Ländern aufgenommen und nur 14% in den reichen Ländern. Die deutsche Debatte und die Behauptung, dass Deutschland weltweit alle Flüchtlinge aufnimmt, bezeichnet er als hysterisch. In Deutschland liegt die Belastungsgrenze aufgrund der prekären Situation in Europa hoch, jedoch ist diese seiner Ansicht nach noch nicht überschritten. Seine Kritik richtet sich gegen die Medien und auch teilweise gegen die Politik. Sie reagieren auf diese derzeitige Problematik zu hysterisch.
Grundsätzlich sind Fragen der Integration ohnehin in längeren Zeiträumen zu diskutieren.
Nach dem Mauerfall hat Deutschland bereits eine kollektive Integrationsleistung vollbracht.
Die Bewältigung und das bürgerliche Engagement bezeichnet der Sozialpsychologe als soziales Phänomen. Mit diesem engagierten Verhalten der Deutschen hat Sozialpsychologe nicht gerechnet. Für ihn ist es ein interessantes Phänomen. Denn im Zuge der Flüchtlings-Frage ist eine bürgerschaftliche Bewegung entstanden, eine Wir-übernehmen-mal-Verantwortung-Bewegung. Das Phänomen besteht darin, dass ein Land aus zwei ehemals totalitären Systemen sich hin entwickeln zu einer Sternstunde der Demokratie, in der die Menschen Verantwortung übernehmen. Deutschland repräsentiert sich als Ort für eine offene Gesellschaft. Deutschlands Attraktivität ist nicht zufällig und auch nicht nur in der ökonomischen Attraktivität begründet, sondern liegt auch in diesem Zustand der offenen Gesellschaft.
Er appelliert an die Gesellschaft und an die Medien zur Enthysterisierung und einem Engagement für die offene Gesellschaft.
In der Diskussion wurde jedoch angemahnt, dass es auch eine Debatte darüber braucht, was im Rahmen der Integration zu leisten ist und diese Integration auch mit einem kulturellen Bruch verbunden ist. Welzer sieht ebenfalls eine Diskussion um Rechtsstaatlichkeit für notwendig und weist auf sein Townhall-Debatten-Projekt hin. In vielen Städten Deutschlands initiiert er Debatten zu dem Thema Welches Land wollen wir sein? Hier sollen die Belastungen der offenen Gesellschaft angesprochen werden. Weitere Informationen finden sich unter folgendem link: http://www.die-offene-gesellschaft.de/
Seiner Meinung nach, gibt es zahlreiche Fragen, die man stellen muss: soziale Ausgrenzung, Überforderung der Polizei, sozialer Wohnungsbau und viele mehr. Es geht auch darum anders Nachzudenken und andere Antworten zu finden. Eine ökonomische Betrachtung kann nicht alles beantworten und auch keine Gesellschaft zusammen halten.